Neugeboren und schon ein Sanierungsfall

Die Umsetzung der Energiestrategie 2050 läuft schief. Der Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion wird behindert, und der Bundesrat passt Verordnung um Verordnung an, um unsere AKWs ewig laufen zu lassen.

Der Bundesrat sagte, dass unsere AKWs weiter betrieben werden dürfen, solange sie sicher sind. Sobald sie die rechtlichen Bestimmungen nicht mehr erfüllen, müssen sie umgehend ausser Betrieb genommen werden. Das bedingt vernünftige Normen im geltenden Recht, die auch durchgesetzt werden, und eine Institution, die das überprüft. Beides ist in der Schweiz infrage gestellt.

Tricksereien und Anpassungen

Wir haben mit der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA eine Prüf- und Zertifizierungsstelle mit Weltruf. In alter Ingenieurtradition gelten nur Zahlen und Fakten, es gibt keine Gefälligkeitsgutachten. Wäre die EMPA zuständig für die ingenieurmässige Beurteilung der Schweizer AKWs, dann wären Mühleberg, Beznau 1 und 2 schon lange ausser Betrieb, und die AKWs Gösgen und Leibstadt vielleicht noch am Netz.
Da aber aus historischen Gründen das Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI zuständig ist, ein Ableger des notorischen Atompromotors Paul Scherrer Institut, wurde seit Jahrzehnten vom Pfad des seriösen Ingenieurs abgewichen. Wenn dem ENSI ein Resultat nicht passt, vergisst man es zu erwähnen – wie die nicht möglichen zerstörungsfreien Messungen am einbetonierten Primärcontainment eines AWKs. Oder man misst die Risse im Kernmantel nächstes Jahr einfach nicht mehr, wie in Mühleberg. Oder man ändert die Berechnungsmethode der Sprödigkeit des Stahls, wie in Beznau.
Wenn alles nichts mehr hilft, gibt es noch den Bundesrat, der die nicht passende Verordnung passend macht. Beznau müsste wegen der Erdbebennorm stillgelegt werden? Der Bundesrat erhöht in der Kernenergieverordnung den Grenzwert um den Faktor hundert.

Das Kühlwasser von Beznau heizt während fünf Monaten im Jahr die Aare zu stark auf, bis die Fische auf dem Bauch schwimmen? Der Bundesrat erlässt eine Ausnahme in der Gewässerschutzverordnung. Das Prinzip «AKW-Weiterbetrieb solange sicher» ist eine Illusion. Durch das Verhalten von ENSI und Bundesrat ist ein «ewiger Weiterbetrieb» die Realität.

Willkürentscheide des BFE

2017 setzte das BFE die Freigaben für Photovoltaikanlagen(PV-Anlagen) auf Null, obwohl das dem expliziten Auftrag des Energiegesetzes widersprach. Es gebe kein Geld, schrieb das BFE. Dabei stieg 2017 die Reserve in genau diesem Fonds um 103 Millionen Franken auf 114 Millionen Franken. Vor der Abstimmung zur Energiestrategie 2050 fragte das BFE in der Vernehmlassung zur Energieförderungsverordnung:

Wollt ihr Option A, die Warteliste für Solarprojekte gleich schnell abbauen, wie für die anderen erneuerbaren Produktionsarten?

Oder B, mit kleinen Kontingenten bremsen?

Zwei Drittel aller Vernehmlassungsantworten wählten die Option A. Bundesrätin Doris Leuthard entschied sich gegen diese deutliche Mehrheit der Vernehmlassung und legte fest: Variante B, PV blockieren mit sehr kleinen EVS-Freigaben.
Im Widerspruch zur bisherigen Kommunikation hat die Geschäftsleitung des BFE einen draufgesetzt und beschlossen, dass die Warteliste der PV-Anlagen nur bis zum Anmeldedatum 30. Juni 2012 abgebaut werde. Dass in den fünf Jahren bis 2022 nur noch 940 PV-Anlagen freigegeben werden. Damit fielen 15’600 PV-Anlagen ins Nichts, weil sie nie mehr in die Förderung der KEV beziehungsweise EVS aufgenommen werden.

Auch diese im August 2012 gebaute PV-Anlage soll nie mehr in die KEV aufgenommen werden.

Als Alternative wurde vom BFE die Einmalvergütung angepriesen. Diese bringt erstens wenig für PV-Anlagen, die 2012 und 2013 gebaut wurden im Glauben an die Vergütung des produzierten Solarstroms auf Höhe des KEV-Tarifs. Wenn nur 14 Prozent der KEV-Höhe vergütet wird, treibt das die Anlagebetreiber dieser PV-Anlagen in den Ruin, auch mit einer kleinen Einmalvergütung.
Aber auch neue PV-Anlagen haben ein Problem: Die Freigaben für Einmalvergütungen lagen im ersten Halbjahr 2018 bei Null für grössere Anlagen und bei 215 Kleinanlagen mit lächerlichen vier Megawatt Leistung. Auch für die Einmalvergütung existiert eine Warteliste mit sechs Jahren Wartezeit. Zuerst keine KEV beziehungsweise EVS, danach auch keine Einmalvergütung.

Einfache Lösung

Dabei wäre es so einfach: Die PV-Warteliste gleich schnell abbauen, wie die Wartelisten der anderen erneuerbaren Produktionsarten. Geld wäre genug vorhanden. Ende 2017 lagen 651 Millionen Franken im KEV-Fonds herum, bis Ende dieses Jahres werden es zwischen 800 bis 1’000 Millionen Franken sein. Bitte helfen Sie der Solarkraft in unserem Land, indem sie die Solar-Befreiungspetition unterstützen.

Neugeboren und schon ein Sanierungsfall (Veröffentlicht am Sonntag, 30. September 2018 in «Der Nachhaltigkeitsguide» in der SonntagsZeitung)

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Replik zu „Der Pferdefuss der Energiestrategie 2050“ von Silvio Borner / Bernd Schips

Silvio Borner und Bernd Schips behaupten in ihrem Beitrag in der NZZ, die Solarenergie würde in der Schweiz niemals marktfähig. Um diese These zu untermauern, ziehen sie Zahlen des staatlich kontrollierten französischen Monopolisten Electricité de France (EDF) bei. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn dieser hoch verschuldete Staatsmoloch als „vertikal integrierter Konzern“ bezeichnet wird. Und diese Zahlen stammen von 2015.

Die Kosten der Photovoltaik pro produzierter Kilowattstunde sinken aber ständig, und haben sich seit 2015 weiter vermindert. Die Autoren lassen unerwähnt, dass weiter die Kosten für die Stromspeicherung ständig sinken. Man denke nur an die Massen-Produktion von kleinen Speichern durch Tesla. Die Swissgrid könnte noch deutlich höhere Mengen an erneuerbarem Strom schlicht durch geschickte Regelung ins Stromnetz integrieren. Die Autoren vergessen auch, dass lokal direkt genutzter Solarstrom die Stromnetze entlastet und damit die Kosten für den Stromnetzbetrieb senkt.

Problematisch ist allerdings aus ökonomischer Sicht die derzeitige Förderpraxis des Bundesamts für Energie: Es bevorzugt kleinere PV-Anlagen gegenüber grösseren über 100 kWh, bei denen sich Skalenerträge und damit mehr Strom pro investiertem Franken erzielen lassen würde. Immerhin sind die Beiträge an Eigenverbrauchs-Anlagen so hoch, dass damit Eigenheim-Besitzer spürbar Geld sparen können.

Problematisch ist derzeit auch, dass Biomasse einen viel höheren Beitrag pro kWh erhält als die Photovoltaik. Das ist volkswirtschaftlich ineffizient. Die Förderpolitik des BFE liesse sich konsequenter auf die Steigerung der Produktion von erneuerbarem Strom ausrichten – das ist aktuell die wichtigste Herausforderung für die Energiestrategie 2050.

Atomenergie wird längerfristig keine Rolle mehr spielen. Sie ist jetzt schon defizitär und so teuer, dass die Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte den Stillegungs- und Entsorgungskosten kürzlich ein eigenes Seminar widmen mussten.

Unterschreiben Sie jetzt die Solarbefreiungspetition von NWA, die hier Gegensteuer gibt!

Jan Schudel (Präsident NWA Region Basel)

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Mühleberg wird cool!

In Mühleberg wird die Beladung mit Brennelementen so gemanagt, dass man bis zur Stilllegung möglichst wenig davon verschwendet. Man lässt die Brennelemente auch noch im Reaktor, wenn sie nicht mehr 100% der Leistung bringen. Das hat auch den Vorteil, dass nach dem Ende des Leistungsbetriebes alles etwas schneller abkühlt.

Das heisst konkret:
Schon am 16. Juli 2018 lief Mühleberg mit nur noch 98% der Leistung, stetig abnehmend bis am 18. August 2018, wo man es für die Revision abschaltet.

Das passt tiptop zur wettermässig zu hohen Temperatur der Aare, die man mit weniger Leistung etwas weniger aufheizt. Umweltfreundlich! (Das war natürlich ironisch gemeint.)

Nach dem Wechsel von einem Sechstel der Brennelemente während der Revision hat Mühleberg ab 12. September 2018 wieder 100% Leistung. Ab Sommer 2019 sinkt die Leistung wieder unter 100%, bis 19. Dezember 2019 täglich sinkend.

Dann kommt das Ende des Leistungsbetriebs, noch drei Monate abkühlen im Reaktor, bis man die Brennelemente ins Kühlbecken befördert. Dort haben die Brennelemente dann nur noch eine Abwärme, mit der man 100’000 moderne Einfamilienhäuser heizen könnte. (Was man nicht macht, das Zeug ist ja hochradioaktiv!)

In den folgenden Jahren bedanken sich die Aare, die Seelandseen, wieder die Aare und der Rhein dafür, dass sie weniger aufgeheizt werden durchs AKW Mühleberg.

Vor dem Bielersee wird die Aare 1 bis 4 Grad kühler, die Aare bei Gösgen kühlt noch um 0,3 bis 1 Grad ab. Laut ETH Modellrechnung sei die Abkühlung des Rheins noch 360 km den Rhein hinunter in Deutschland messbar.

Aber die armen badenden Deutschen müssen nicht frieren. Zum Glück bleiben Beznau 1 und 2 noch in Betrieb, die die Aare mit 1’520 MW heizen. Das entspricht der Heizung von rund 250’000 modernen Einfamilienhäusern. Das heisst, die Aare bleibt unterhalb von Beznau ein Dampfbad.

Es ist schwierig, bei Windstille im Herbst und Winter den Stausee Klingnau unterhalb von Beznau ohne Nebel zu sehen. Das gibt es kaum. Die Aare ist da viel zu warm und dampft vor sich hin.

Wenigstens wird der Bielersee signifikant weniger Nebel haben. Das Seeland wird ein bisschen weniger das Nebelloch sein, als das es heute bekannt ist. Nur noch die radioaktiven Sedimente im Bielersee werden daran erinnern, dass da mal ein AKW war.

Atomic Energy – The Promise of the Future!

Eigentlich schon verrückt, woran wir uns mit der Zeit gewöhnt haben.

Peter Stutz (Co-Präsident NWA Schweiz)

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